Pressemitteilung

Wie neuronale Schaltkreise auch im Ungleichgewicht die Balance halten

15.12.2016 um 11:28 Uhr

Bonn, 15.12.2016. Nervenzellen in der Großhirnrinde (Kortex) erhalten ständig Signale - sowohl von benachbarten als auch von weit entfernt liegenden Nervenzellen. Diese Signale können erregend oder hemmend sein. Um schnell auf Veränderungen dieser Signale reagieren zu können – etwa um neue Sinnesreize zu verarbeiten – müssen die erregenden und hemmenden Signale in Balance bleiben. So können Nervenzellen immer nahe an der Schwelle bleiben, ab der sie aktiv werden. Sobald es zu einem Ungleichgewicht anregender und hemmender Signale kommt, reagiert die Zelle nicht mehr adäquat auf Reize - entweder sie bleibt immer ruhig oder sie ist viel zu aktiv, ähnlich wie bei einem epileptischen Anfall. In bisherigen Modellen des Kortex geht man davon aus, dass die Architektur von neuronalen Schaltkreisen sehr homogen ist. Zum Beispiel wird angenommen, dass die Anzahl an erregenden und hemmenden Verbindungen zu jeder Nervenzelle aufeinander abgestimmt ist. Dadurch kann jede Nervenzelle in Balance zwischen Erregung und Hemmung bleiben. Anatomische Untersuchungen haben nun jedoch gezeigt, dass dies ganz und gar nicht der Fall ist! Erregende und hemmende Verbindungen folgen keinen gleichmäßigen Mustern. Die funktionellen Effekte, die solch strukturelle Heterogenität mit sich bringen kann, haben Wissenschaftler der Gruppe "In Silico Brain Sciences" um Marcel Oberländer am Bonner Forschungszentrum caesar in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern um Haim Sompolinsky untersucht. Die Studie ist im Rahmen einer engen Kollaboration zwischen der Max Planck Gesellschaft und der Hebrew University in Jerusalem entstanden. Im Fokus standen dabei Schaltkreise im somatosensorischen Kortex der Ratte, der Tastsignale verarbeitet. Mit Hilfe von 3D-Rekonstruktionen der neuronalen Netzwerke und numerischen Simulationen der Aktivität von Nervenzellen in dieser Hirnregion fanden die Wissenschaftler heraus, dass strukturelle Heterogenität tiefreichende Folgen für die Funktion des Kortex haben kann. Zum Beispiel würden in Netzwerken mit realistischer struktureller Heterogenität nur noch sehr wenige Nervenzellen auf sensorische Signale reagieren – eine Vorhersage, die mit Aktivitätsmessungen nicht in Einklang zu bringen ist. In der Studie werden daher Mechanismen beschrieben, wodurch die Eigenschaften einzelner Zellen Heterogenität in der Netzwerkstruktur ausgleichen können. Dadurch bleibt das Netzwerk in einem Zustand, der es allen Nervenzellen erlaubt an der Verarbeitung sensorischer Informationen mitzuwirken. Einzelne Nervenzellen können etwa ihre Erregbarkeit selbst reduzieren und dadurch ihre Aktivität dynamisch anpassen. Wenn diese Eigenschaften in den Simulationen berücksichtig wurden, stellten sich wieder Gleichgewichtszustände ein, die Aktivitätsmuster zeigten, wie sie auch in lebenden Tieren beobachtet werden. „Unser detailliertes Modell der Netzwerke im Kortex der Ratte erlaubt Einblicke in das Zusammenspiel von zellulären Eigenschaften einzelner Nervenzellen, ihren Verbindungen und der Netzwerkarchitektur, und wie daraus realistische Aktivitätsmuster entstehen“, so Oberländer. „Die Studie zeigt zudem erstmals Strategien auf, wie man grundlegende Theorien über die Funktion des Gehirns durch Simulation realistischer Modelle von neuronalen Netzwerke überprüfen kann.“

Originalpublikation
Landau, I.D., Egger, R., Dercksen, V.J., Oberlaender, M. & Sompolinsky, H. (2016) "The Impact of structural heterogeneity on excitation-inhibition balance in cortical networks" Neuron 92, 1106-1121 

DOI:
 10.1016/j.neuron.2016.10.027

caesar
Caesar ist assoziiert mit der Max-Planck-Gesellschaft und betreibt in Bonn ein Forschungszentrum für Neurowissenschaften. 

Ansprechpartner
Dr. Marcel Oberlaender, 
Leiter der Max-Planck-Forschungsgruppe "In Silico Brain Sciences"
Telefon: +49(0)228/9656-380
E-mail: marcel.oberlaender@caesar.de
Website: In Silico Brain Sciences

Modell der neuronalen Netzwerke in der sensorischen Großhirnrinde
Modell der neuronalen Netzwerke in der sensorischen Großhirnrinde

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